Wie kriege ich mehr Zeit für meine Leidenschaft, die Musik?
Ich checke nochmal die Zeit auf meiner Armbanduhr. Stimmt. Das hatte ich befürchtet. Mit leichter Enttäuschung blicke ich auf 27 junge Erwachsene, die sich mit dem Lesen eines Kapitels beschäftigen, welches ich ihnen vor zehn Minuten aufgegeben hatte. Nochmal zehn Minuten und es läutet zum Schulschluss für heute. Immer noch zehn Minuten. Die Zeit zieht sich wieder mal wie Kaugummi. Innerlich werde ich mit jedem »Klack« des Sekundenzeigers unruhiger. Nur nichts anmerken lassen ...
Als ich mich damals für den Beruf des Lehrers entschied, hatte ich schon ein Jahr Leidenszeit hinter mir. Ein Jahr, das mir einen Teil meines Lebens geraubt hatte. So kam es mir zumindest vor. Nach dem Abitur sollte ich in die Fußstapfen meines Vaters treten. Für mich bedeutete das jeden Tag mindestens neun bis zehn Stunden im Büro zu sein. Für meine Leidenschaft, die Musik, war ab da kein Platz mehr. Ich musste sogar die Band hinten anstellen, für die ich seit der Mittelstufe den Part des Gitarristen hatte. Nachdem ich bei drei Proben am Stück gefehlt habe, suchten sie sich einen anderen. In mir brach eine Welt zusammen.
Meinen Eltern tat ich den Gefallen und zog ein Jahr durch. Dieses war ein verlorenes Jahr, in dem ich ein Stück meiner Identität abgegeben hatte. Musik war immer meine Leidenschaft, mein Leben. Ich musste einen Beruf finden, mit dem ich beides verbinden konnte. Bei dem mir auch genügend Zeit zur Verfügung stand, meiner Musik nachgehen zu können. Sonst würde ich kaputtgehen. Das wusste ich.
Ich hatte mehrere Berufe in die engere Wahl gezogen. Lehrer war einer davon und wurde letztendlich zu einer Wahl, die ich bis heute nicht bereue. Zwar war ich im Studium und während der Referendariatszeit ziemlich eingespannt, doch hatte ich dort die Möglichkeit, ebenso Musik zu studieren und fand eine neue musikalische Leidenschaft: das Klavierspielen. Heute unterrichte ich in den Fächern Deutsch, Geschichte und ... natürlich Musik.
Beim Gedanken an das, was hinter mir liegt und mich heute hier voller Ungeduld auf die Uhr schauen lässt, schleicht sich ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht. Es ist kurz nach zwei und in einer Stunde beginnt unsere Probe. Ich habe eine neue Band gefunden, die Rock und Pop miteinander verbindet und voll auf meiner Linie liegt. Wir proben drei Mal in der Woche und haben im Schnitt alle zwei Wochenenden einen Auftritt. Ich sitze am Flügel. Meinem neuen Lieblingsinstrument. Unsere Einnahmen mit der Band haben es mir ermöglicht, einen Flügel von Niendorf anfertigen zu lassen. Ein absolutes Erlebnis für jeden Pianoliebhaber.
Der Schulgong ertönt und holt mich zurück in die Realität. Zufrieden packen meine Schüler ihre Bücher zusammen und verabschieden sich von mir. Musik hat nämlich auch für das Zwischenmenschliche eine enorme Wirkung: Sie verbindet Menschen. Genauso wie mich und meine 12b.